ICH & MEHR

Ich stimme Dir in vielen Dingen zu, jedoch habe ich teilweise auch andere Meinungen. Immerhin habe ich direkt an der "Nahtstelle" gewohnt, und ich fand es immer furchtbar, jeden Tag an der Mauer entlang zu fahren und nicht auf die andere Seite zu dürfen. "Freiheit ist Einsicht in die Notwendigkeit" hat man uns da immer gepredigt. Was für ein Müll! Der imperialistische Schutzwall, der uns vor dem bösen Westen schützen sollte, in dem man die Wessis zu uns rüber ließ, um Kohle zu machen, aber den mündigen DDR-Bürger davon abhielt, mal auf die andere Seite zu gehen. Freiheit sollte das sein? Lachhaft! Seine Verwandten nicht besuchen dürfen? Eine Frechheit!
Und ich habe es gehasst, dass die Pionier-und FDJ-Organisationen immer zu Propagandazwecken missbraucht wurden. Die Kampfreserve der Partei wollte ICH nie sein! Und jemandem das Leben schwer zu machen, nur weil der lieber zur Konfirmation als zur Jugendweihe gehen wollte, hat für mich auch nichts mit Freiheit zu tun. Und mich mit 17 in die SED drängen zu wollen, weil man sonst nicht sagen könne, ob das mit meinem Studium klappen würde - was ist das denn??? Und die befohlene Teilnahme an den Massenkundgebungen zum 1. Mai, dem Marsch zum Grab von Rosa Luxemburg oder dem Zujubeln mit Winkelementen für Staatsgäste, für die dann sogar der Unterricht ausfiel? Abartig!
Nein, danke, DARAUF kann ich verzichten. ABER: Ich hätte die DDR auch nicht gleich abgeschafft. Diese blinde Hinterherrennen hinter dem Westgeld und den Versprechungen dazu fand ich schlimm. Von den politischen Ärgernissen abgesehen, ging es mir persönlich auch nicht so schlecht. Nein, es war wirklich längst nicht alles schlecht (auch mit langjährigem Warten auf ein Auto und ohne Südfrüchte). Natürlich war dieses Subventionierungssystem irgendwann zum Scheitern verurteilt, und man hätte vieles ändern müssen, um den Staat zu erhalten, aber ihn deswegen gleich ganz aufgeben und am liebsten auch noch alles vergessen, was war? Nein, das fand ich auch völlig überzogen. Ich kam mir ziemlich einverleibt vor und es ging mir alles viel zu schnell. Aber das Erwachen kam für viele erst später, zu spät.