Zeitreise - 04.10.1989
Paß- und visafreier Verkehr zwischen DDR und CSSR zeitweilig ausgesetzt
Berlin (ADN)
Aufgrund der Berichte, die der DDR zur Verfügung stehen, bereiten bestimmte Kreise in der BRD weitere Provokationen zum 40. Jahrestag der DDR vor, die gegen Ruhe und Ordnung gerichtet sind.
Nach Konsultation mit der CSSR wurde die Vereinbarung getroffen, zeitweilig den paß- und visafreien Verkehr zwischen DDR und CSSR für die Bürger der DDR mit sofortiger Wirkung auszusetzen.
Dieser Artikel stand am 04.10.1989 in der Sächsischen Zeitung.
An diesem Tag musste ich, wie jeden Tag, auf dem Dresdner Hauptbahnhof umsteigen. Und wie fast jeden Tag verpasste ich auf dem Heimweg meinen Anschlusszug und hatte eine halbe Stunde Zeit, bis der nächste fuhr. Ich nutzte die Zeit für einen Bummel auf die Prager Straße. Mir fielen dort die vielen Menschen auf, die scheinbar gleichgültig irgendwo herumsaßen. Decke, Rucksack, Thermoskanne. Worauf warteten denn die?
Ich erfuhr später erst, dass es "DIE" Züge waren. Jene, die von der BRD-Botschaft in Prag aufgrund Honeckers - nennen wir es ruhig mal so - Sturheit partout über das Gebiet der DDR fahren mussten. Und damit über Dresden. Und dass die scheinbar gleichgültigen Menschen auf der Prager Straße auf eine Möglichkeit hofften, auf die Züge aufspringen zu können (was wohl auch einigen gelungen ist, z.B. einem ehemaligen Lehrer von mir).
Im Rahmen der Auseinandersetzung der wohl erst später am Tag anwesenden Polizei gab es mehr als nur Handgreiflichkeiten. Ich würde sagen, es war die einzige geballte Gewaltaktion der ganzen Wendezeit.
Ich habe abends im Bett fremde Geräusche aus der Stadt gehört, es hörte sich an wie Lautsprecherdurchsagen.
Am nächsten Tag war in der Zeitung zu lesen (übrigens wesentlich kleiner als oben stehender Artikel):
Störung im Zugverkehr
Dresden Wei das Transportpolizeiamt Dresden informierte, kam es im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten von zeitweiligen Regelungen des Reiseverkehrs zwischen der DDR und der CSSR in den Morgenstunden des gestrigen Tages durch rowdyhaftes Verhalten von Personen zu Störungen der öffentlichen Ordnung auf dem Dresdner Hauptbahnhof, wobei der Zugverkehr behindert wurde. Dabei ereignete sich ein Unfall, bei dem eine Person durch einen ausfahrenden Leerzug schwer verletzt wurde. In den Abendstunden kam es am Hauptbahnhof erneut zu Ausschreitungen, die den Einsatzt der Volkspolizei und zeitweilige Umleitungen für den Fahrzeugverkehr erforderlich machten.
Dieser Artikel war natürlich glatt gelogen. Die DDR-Bürger haben sich ja Vieles gefallen gelassen und sind immer ruhig geblieben oder haben nur hinter vorgehaltener Hand gemeckert. Aber dass nun auch noch die letzte offene Grenze dicht gemacht wurde - also das war doch vollkommen klar, dass das das ohnehin übervolle Fass total zum Überlaufen bringt!
Da die Polizei Wasserwerfer benutzt hatte, kamen am Abend die Randalierer mit Brandflaschen und lieferten sich ein wahres Gefecht, das über mehrere Stunden ging. Ich hörte es wieder abends im Bett und konnte nicht einschlafen, weil ich so aufgewühlt war. DAS gab es noch nie und das war bedenklich!
Als ich am nächsten Morgen zum Hauptbahnhof kam, war ich schlichtweg sprachlos. Es gab beinahe keine Scheibe, die nicht mindestens ein rundes Loch hatte (Steinschläge) oder total kaputt war. Die Uhr am Bahnhof war zerstört. Ebenso Fahrkartenautomaten, Schilder, Informationskästen... Die Eingangstüren kaputt, die Diensträume der Reichsbahnmitarbeiter verwüstet. An sämtlichen Ausgängen standen bewaffnete Sondereinsatzkräfte mit scharfen Hunden - ich kam mir vor wie im Ausnahmezustand.
Unzählig viele Menschen befanden sich auf den Bahnsteigen, aber kaum ein Zug fuhr.
Ich fragte einen Mitarbeiter der Deutschen Reichsbahn (ja, so hieß das damals bei uns), ob denn ein Zug in Richtung Meißen führe. Er sagte gedehnt: "Jaaa..." Ich fragte: "Und wann?" Er meinte, das wüsste er nicht, ich könne froh sein, wenn heute überhaupt noch einer führe. Tatsächlich konnte ich mit ca. 1,5 Stunden Verspätung doch noch zum Studium erscheinen. Allerdings hat an dem Tag eher keiner studiert, denn alle wollten wissen: "Wie sieht's in Dresden aus?"
Der materielle Schaden wurde später auf 175000 Mark geschätzt. Ein ganz neuer Mitropa-Imbisswagen im Wert von 33000 Mark war völlig zerstört worden.
Übrigens wurde der pass- und visafreie Verkehr erst ab dem 01.11.1989 wieder zugelassen. Das war viiiel zu viel Zeit, um dem Zorn der Massen so richtig Nährboden zu geben.
Ansonsten... hätte alles etwas beschaulicher vonstatten gehen können, wie es ja DDR-typisch war. Dann hätte man vielleicht noch dieses Land retten können. Aber so wurde der Bogen überspannt und das Volk ist im Zorn über das Ziel hinausgeschossen. Denn damals... am 04.10.1989, ungefähr um die Uhrzeit jetzt... da hat noch KEINER an die deutsche Einheit gedacht. Da wollten die Leute einfach nur Reisefreiheit. Hätte man sie mal gelassen. Irgendwann hätte die BRD kapituliert und ihrerseits die Grenzen dicht gemacht. Man stelle sich nur die Erhöhung der Arbeitslosenzahlen vor... *frech grins*
Berlin (ADN)
Aufgrund der Berichte, die der DDR zur Verfügung stehen, bereiten bestimmte Kreise in der BRD weitere Provokationen zum 40. Jahrestag der DDR vor, die gegen Ruhe und Ordnung gerichtet sind.
Nach Konsultation mit der CSSR wurde die Vereinbarung getroffen, zeitweilig den paß- und visafreien Verkehr zwischen DDR und CSSR für die Bürger der DDR mit sofortiger Wirkung auszusetzen.
Dieser Artikel stand am 04.10.1989 in der Sächsischen Zeitung.
An diesem Tag musste ich, wie jeden Tag, auf dem Dresdner Hauptbahnhof umsteigen. Und wie fast jeden Tag verpasste ich auf dem Heimweg meinen Anschlusszug und hatte eine halbe Stunde Zeit, bis der nächste fuhr. Ich nutzte die Zeit für einen Bummel auf die Prager Straße. Mir fielen dort die vielen Menschen auf, die scheinbar gleichgültig irgendwo herumsaßen. Decke, Rucksack, Thermoskanne. Worauf warteten denn die?
Ich erfuhr später erst, dass es "DIE" Züge waren. Jene, die von der BRD-Botschaft in Prag aufgrund Honeckers - nennen wir es ruhig mal so - Sturheit partout über das Gebiet der DDR fahren mussten. Und damit über Dresden. Und dass die scheinbar gleichgültigen Menschen auf der Prager Straße auf eine Möglichkeit hofften, auf die Züge aufspringen zu können (was wohl auch einigen gelungen ist, z.B. einem ehemaligen Lehrer von mir).
Im Rahmen der Auseinandersetzung der wohl erst später am Tag anwesenden Polizei gab es mehr als nur Handgreiflichkeiten. Ich würde sagen, es war die einzige geballte Gewaltaktion der ganzen Wendezeit.
Ich habe abends im Bett fremde Geräusche aus der Stadt gehört, es hörte sich an wie Lautsprecherdurchsagen.
Am nächsten Tag war in der Zeitung zu lesen (übrigens wesentlich kleiner als oben stehender Artikel):
Störung im Zugverkehr
Dresden Wei das Transportpolizeiamt Dresden informierte, kam es im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten von zeitweiligen Regelungen des Reiseverkehrs zwischen der DDR und der CSSR in den Morgenstunden des gestrigen Tages durch rowdyhaftes Verhalten von Personen zu Störungen der öffentlichen Ordnung auf dem Dresdner Hauptbahnhof, wobei der Zugverkehr behindert wurde. Dabei ereignete sich ein Unfall, bei dem eine Person durch einen ausfahrenden Leerzug schwer verletzt wurde. In den Abendstunden kam es am Hauptbahnhof erneut zu Ausschreitungen, die den Einsatzt der Volkspolizei und zeitweilige Umleitungen für den Fahrzeugverkehr erforderlich machten.
Dieser Artikel war natürlich glatt gelogen. Die DDR-Bürger haben sich ja Vieles gefallen gelassen und sind immer ruhig geblieben oder haben nur hinter vorgehaltener Hand gemeckert. Aber dass nun auch noch die letzte offene Grenze dicht gemacht wurde - also das war doch vollkommen klar, dass das das ohnehin übervolle Fass total zum Überlaufen bringt!
Da die Polizei Wasserwerfer benutzt hatte, kamen am Abend die Randalierer mit Brandflaschen und lieferten sich ein wahres Gefecht, das über mehrere Stunden ging. Ich hörte es wieder abends im Bett und konnte nicht einschlafen, weil ich so aufgewühlt war. DAS gab es noch nie und das war bedenklich!
Als ich am nächsten Morgen zum Hauptbahnhof kam, war ich schlichtweg sprachlos. Es gab beinahe keine Scheibe, die nicht mindestens ein rundes Loch hatte (Steinschläge) oder total kaputt war. Die Uhr am Bahnhof war zerstört. Ebenso Fahrkartenautomaten, Schilder, Informationskästen... Die Eingangstüren kaputt, die Diensträume der Reichsbahnmitarbeiter verwüstet. An sämtlichen Ausgängen standen bewaffnete Sondereinsatzkräfte mit scharfen Hunden - ich kam mir vor wie im Ausnahmezustand.
Unzählig viele Menschen befanden sich auf den Bahnsteigen, aber kaum ein Zug fuhr.
Ich fragte einen Mitarbeiter der Deutschen Reichsbahn (ja, so hieß das damals bei uns), ob denn ein Zug in Richtung Meißen führe. Er sagte gedehnt: "Jaaa..." Ich fragte: "Und wann?" Er meinte, das wüsste er nicht, ich könne froh sein, wenn heute überhaupt noch einer führe. Tatsächlich konnte ich mit ca. 1,5 Stunden Verspätung doch noch zum Studium erscheinen. Allerdings hat an dem Tag eher keiner studiert, denn alle wollten wissen: "Wie sieht's in Dresden aus?"
Der materielle Schaden wurde später auf 175000 Mark geschätzt. Ein ganz neuer Mitropa-Imbisswagen im Wert von 33000 Mark war völlig zerstört worden.
Übrigens wurde der pass- und visafreie Verkehr erst ab dem 01.11.1989 wieder zugelassen. Das war viiiel zu viel Zeit, um dem Zorn der Massen so richtig Nährboden zu geben.
Ansonsten... hätte alles etwas beschaulicher vonstatten gehen können, wie es ja DDR-typisch war. Dann hätte man vielleicht noch dieses Land retten können. Aber so wurde der Bogen überspannt und das Volk ist im Zorn über das Ziel hinausgeschossen. Denn damals... am 04.10.1989, ungefähr um die Uhrzeit jetzt... da hat noch KEINER an die deutsche Einheit gedacht. Da wollten die Leute einfach nur Reisefreiheit. Hätte man sie mal gelassen. Irgendwann hätte die BRD kapituliert und ihrerseits die Grenzen dicht gemacht. Man stelle sich nur die Erhöhung der Arbeitslosenzahlen vor... *frech grins*
Rubrik: HistorICHes - Hoffende - 04. Oktober 09 - 21:20 Uhr
Übrigens habe ich damals, als ich schlaflos im Bett lag, ausgerechnet, wann die DDR komplett leer sein würde, wenn die Auswanderzahlen weiterhin so hoch bleiben würden (jeden Tag die selbe Zahl vorausgesetzt). Leider weiß ich nicht mehr, auf welches Ergebnis ich damals kam. Ich glaube, es war 2011 oder so...
Am 09.11. war eigentlich die spannende Zeit bei uns schon vorbei.
Als ich dann im Januar nochmal mit der Familie hingefahren bin, hatte ich so ein nettes Erlebnis in einem Kaufhaus mit einer netten Dame aus Westberlin, in einen Pelzmantel gehüllt und rein äußerlich so richtig das wiederspiegelnd, was als "Wessi" bezeichnet wird. Sie blickte an mir und meiner Schwester rauf und runter, bis sie etwas abfällig sagte: "Geht lieber wieder nach Hause."
Ich verstehe, dass die Westberliner damals überfordert von dem ganzen Trubel waren, aber DAS war ja wohl der Gipfel an Arroganz und Unfreundlichkeit. Insofern dachte ich bei der Wiedervereinigung: Alles Krokodilstränen. In Wahrheit wollt ihr uns gar nicht haben. Das Land schon, aber die Menschen nicht wirklich.